


Im Gegensatz zur allgemeinen Entwicklung ging die Bedeutung der Mathematik an der Universität Ingolstadt im weiteren Verlauf des 17.Jahrhunderts spürbar zurück. Mathematik wurde nur noch nebenbei gelesen. Im Jahre 1695 lehnte die Fakultät die Bewerbung eines Mathematikers ab, ,,weil es für dieses Fach an Zuhörern fehle`` [Prantl, Bd.1, S.505]. Nach der Übernahme der Philosophischen Fakultät durch die Jesuiten wurde auch die Freiheit der Lehre eingeschränkt. Die Auswahl der Vorlesungsbücher nahm der Ordensprovinzial vor, die Verwendung anderer Autoren mußte genehmigt werden, zu druckende Bücher unterlagen der Zensur.
Erst im 18.Jahrhundert kam es zu grundlegenden Reformen. Die Philosophische Fakultät der damals eher bedeutungslosen Hochschule [Hofmann, S.8] hatte inzwischen über zwei Drittel ihrer Studenten verloren. Ab der Mitte des 18.Jahrhunderts begann man sich nun auch in Ingolstadt, im Zuge der Aufklärung, um den Anschluß an die weiterreichenden mathematischen und naturwissenschaftlichen Entdeckungen des Spätbarock zu bemühen.
Dabei spielte an dieser Universität in den kommenden rund 120 Jahren bis 1870 die angewandte Mathematik eine besondere Rolle. Durchwegs wurden hier - wie sich am Vorlesungsangebot zeigt - die Anwendungen, etwa in der Physik, als Hauptaufgabe der Mathematik angesehen. Im Gegensatz zur bereits spezialisierteren allgemeinen Entwicklung gehörten hier zum Fach Mathematik noch eine Reihe von Anwendungsgebieten, wie zum Beispiel Astronomie, Maschinenlehre und Technik. Mathematik sollte brauchbar sein, die angewandte Mathematik der Technik und ihrem Nutzen dienen. Bereits seit Jahrhunderten waren Kenntnisse im Handelsrechnen außerhalb der Universitäten, vor allem durch die Rechenmeister, verbreitet worden. Mit den Reformen ab 1771 wurde auch dieses Handelsrechnen in den Fächerkanon der Ingolstädter Universität aufgenommen und von dem Augustiner Vincelin Schlögl (1743-1811), der sich unter anderem mit Renten- und Versicherungsrechnung beschäftigte, besonders gefördert. Die Einführung neuer mathematischer Lehrbücher, wie etwa derjenigen von Christian Wolff, waren ein Symptom für die grundlegende Bildungsreform jener Zeit. Zunächst wurden 1771 die Schulen reformiert - ein Werk Ickstatts. Die bayerischen Gymnasien waren bisher in den Händen der Jesuiten gewesen. Die Reform brachte den allgemeinen Schulzwang und die staatliche Schulaufsicht.
Durch eine päpstliche Bulle erfolgte 1773 die Aufhebung des Jesuitenordens, die den Anfang der Entflechtung von Universität und Orden darstellt. Es kam zu einer Lockerung der kirchlichen Zensur und zur Förderung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer, der Geschichte und der Philologie. Die Philosophische Fakultät umfaßte damals sieben Lehrstühle - für Mathematik, Physik, Logik, Ethik, Chemie, Metaphysik und für Eloquenz. Eine Aufwertung der Mathematik wurde vor allem auch deshalb als wünschenswert angesehen, da sie dem Physiker ,,ohnentbehrlich seye`` (der Physiker Matthias Gabler 1773 in einem Gutachten, aufbewahrt im BHStA Gerichtsliteralien 1489/49 1773 XI 23). 1778 wurde zusätzlich eine vorübergehende außerordentliche Professur für reine Mathematik und Astronomie eingerichtet.
Das Jahr 1799 brachte mit dem Regierungsantritt von Kurfürst Maximilian
IV. Joseph (1756-1825) - ab 1806 König Maximilian I. von Bayern
- auch eine Neuorganisation der Universität. Sie führte unter
anderem zur Einrichtung eines zweiten mathematischen Ordinariats. Folgende
Vorlesungsangebote gehörten 1799 zur Mathematik: ,,Gerichtliche Mathematik``,
,,Arithmetik und Algebra``, ,,Geometrie, ebene und sphärische Trigonometrie,
praktische Geometrie mit Anwendungen an dem Felde``, ,,Höhere Mathematik
abwechselnd mit Astronomie``, ,,Angewandte Mathematik mit besonderer Rücksicht
auf die Maschinenlehre``, ,,Meteorologie``, ,,Physikalisch-mathematische
Geographie``, ,,Statistik``, ,,Juristische, politische und ökonomische
Rechenkunst`` und ,,Markscheidekunst``. Das Stundendeputat der Studenten
belief sich durch dieses ausgeweitete Vorlesungsangebot in den vier Pflichtsemestern
des philosophischen Kurses auf immerhin jeweils rund 39 Semesterwochenstunden.
Das gegenüber früher deutlich differenziertere Fächerangebot
war symptomatisch für die Reform. Deren Ziel war es, der Universität
mehr als bisher (seit 1773) zu dem Ansehen zu verhelfen, das ihr vor der
Jesuitenherrschaft zukam. Der Nachholbedarf war nicht zu übersehen.
So hatte man etwa in Göttingen schon seit der Gründung (1737)
die Grundidee der modernen Universität, die Einheit von Forschung
und Lehre angestrebt und gefördert. Im November 1799 fiel in München
die Entscheidung über die Verlegung der Universität aus dem zur
Festung ausgebauten Ingolstadt in das offene Landshut, die ehemalige Residenzstadt
der Herzöge von Bayern-Landshut. Kriegerische Wirren waren ein willkommener
Anlaß, der Universität ein neues Gesicht zu geben [Boehm; Spörl,
Bd. 2, S.128].


