Im Bombenkrieg

Leizig, den 21,Oktober 1943.

Mein lieber Peter!

Der heutige Wehrmachtsbericht sagt "Feindliche Flieger flogen im Schutze der Wolkendecke in das Reichsgebiet ein und warfen Bomben auf Orte und Landgemeinden und verursachten Gebäudeschäden." Unter den Orten waren nun wir! ! ! !

1/4 9 Uhr abend - ich fuhr gerade den Wagen mit dem Abendessen hinaus, ging die Sirene, nachdem 1/2 8 Uhr der Deutschlandsender wegblieb. Wir gingen gemütlich in den Keller, mit einem gewissen unangenehmen Gefühl, weil es so zeitig war. Die Hausgemeinschaft fand sich, zögernd ein und es begann auch bald mit dem bellendem Schiessen der Flak. Auf einmal - nach ca. 3/4 Stunde gab es einen Krach, ich weiss, nicht wie ich sagen soll, das Haus zitterte, die Stoffe, die an den Kellertüren vorgehängt sind wackelten stark- - alles sprang von den Stühlen auf mit mehr oder weniger Geschrei - eine Bombe! ! ! Frau Schüler nur fiel auf ihren Stuhl hintenüber : Willy, Willy ,jetzt gehts los, wir können, nicht raus!!!!!! Die Kinder weinten - Alle schulterten den Rucksack.....Aber unserem Haus war nichts geschehen. Wilhelm, der Luftschutzwart, dirigierte alle nach hinten zum Durchbruch, weil der vordere Teil des Kellers durch, das Treppenhaus mehr gefährdet sei. Es waren auch so viel Leute wie nie im Keller. Nach dieser ersten Bombe kam auch Frl. Marx (Untermieterin Von Görners, die bisher nie unten war, weil sie Frau Görner betreute). Sie hatte am Himmel stadtwärts die berüchtigten Christbäumchen gesehen, die das Zeichen zum beginnenden Angriff sein sollen! "Inzwischen wurde wieder etwas Ruhe, und Der Luftschutzwart kam mit der erfreulichen Nachricht, dass die Strasse voller Glasscherben läge. Die Schülern wimmerte leise weiter und wurde hinten an den Durchbruch gesetzt und bekam einen ordentlichen Anschnauzer von ihrem Mann - sich zusammenzureissen. Auch wir sagten ihr dass sie schon mit Rücksicht auf die Kinder den Kopf oben behalten müsse.

So kamen noch mehrere Wellen Flieger, wir hörten sie schwer brummen. Ein solch schwerer Schlag kam nicht wieder, aber es langte zu. Inzwischen wurde bei Kontrollgängen festgestellt, dass tatsächlich in den Wohnungen überall Fenster kaputt waren. Über den einzelnen Stadtteilen stellten die Männer wieder Brände fest und als es ruhiger geworden war, hatte sich der Vater bis zum Waldplatz gewagt, durch Glas watend! !

½ 11 Uhr kam die Entwarnung und wir sahen alle auf der Strasse die grossen Glashaufen. Die Nachtwachen von Beyers waren noch eifrig beim kehren. Die armen Radfahrer und Autos, denn das Glas war bis zur Strassenmitte geflogen und es glitzerte wie frisch gefallener Hagelschlag.

Heute früh(mit 2 Phanodorm hatte ich noch Schlaf gefunden)kamen nun die Hiobsposten. Zunächst sind bei uns in Deinen Zimmer 2 Längsscheiben kaputt, desgleichen eine in der Verandatür, dann 3 Scheiben der Verandaverglasung. Ich glaube in jeder Wohnung im Hause sind einige drauf gegangen. Sämtliche Ladenscheiben bis zum Waldplatz, dort und in der Frankfurterstr. Jm Zuge der Lindenauer Chaussee sind eine oder mehrere Bomben niedergegangen. Die Zeppelinbrücke ist gesperrt. Eine Strassenbahn hat kurz vorher gehalten und die Leute haben Schutz unter der Brücke gesucht wo es dann eingeschlagen hat, es soll dort 5 Tote gegeben haben. Die Strassenbahn sei zusammengedrückt, Bäume herausgedreht pp-

Jn der Stadt: Volkmar, Hospitalstr. Grossbrand , desgl. Reclam, J.J. Weber, Klinikenviertel Dächer abgedeckt. Tuchheine und Battenberg, Grossbrände, Nach der Brandenburger Str. zu Lagehäuser Grossbrände. Südviertel Päd. Institut. Bombentreffer, Zinserteefabrik, Treffer. Kommissionshaus rief schon 1/2 8 den Vater zu Hilfe: Anbau mit Veranda von Tratzens Wohnung ausgebrannt. Viele Wohnungs und Dachstuhlbrände, wo Vater bei seiner Rundfahrt mit dem Rad heute früh (das alte nimmt er jetzt!) durchgekommen ist.

Glasschäden in allen Stadtvierteln riesenhaft - also müssen überall Bomben gefallen sein. Bei den Bränden wurde heute früh noch überall gespritzt. Tante Erna hat bis 12 Uhr im Schlafzimmer Glas aus den Betten gekehrt, da ist eine Türfüllung in tausenden Splittern umhergeflogen. Sie haben dort draussen den Rennrich vom päd. Institut. Erna war bei Sirenenbeginn von Beckers heimgeeilt und hatte bei dem Einschlag die Haustür in den Rücken bekommen, sodass sie gleich die Kellertreppe runtergeflogen ist. (ohne Schaden).

Engelsdorf: Kirche abgebrannt, Fortunatanzlokal desgl. und viele Schäden

Mölkau Sommerfeld: Ratsgut und Wohnhäuser getroffen. Markleeberg: Bei Dr. Niewöhner im Wolfswinkel Glasschäden, die Bomben hätten nur so in den den Wald gerauscht.

Bei Dorle war garnichts passiert - von Gohlis hörten wir noch nichts, d. h. von anderer Seite erfuhren wir dass nichts los war im Viertel Lindenthalerstr.

Das wäre nun so das, was wir autentisch wissen, es wird natürlich viel erzählt -; aber es ist in allen Vierteln etwas los gewesen. Heute hat nun Vater sämtliche inneren Fenster ausgehängt. Bei Dir waren sie zum Glück schon heraus. Wir haben natürlich Angst, dass nun eine Serie kommt, aber wir behalten den Kopf oben.

Nun will ich Schluss machen und ins Bett um Vorrat zu schlafen !

Alles Gute und mache Dir keine Sorgen um uns, der liebe Gott wird uns schon alle beschützen!

Herzlichst küsst Dich

Deine Mutti