Tagebuchtext
- 13. Oktober 1914
- Bahnhofswache von 81.28h. Ausfahrt 1.28 Fahrt über
Schwetzingen Friedrichsfeld. Wenig Schlag, unbequeme Sitzgelegenheit.
Gute Stimmung der Mannschaft. Liebesgaben an Bahnhöfen sehr
viel und von netten Leuten, tadelloses Wetter wunderschöne
Landschaft.
- 14. Oktober 1914
- Von 7 ½ h morgens in Heppenheim Wagenwache bezogen bis 12h
mittags. Eingetroffen an 12 Uhr in Bingerbrück. Mittagessen
tadelloses Wetter. Rheinstrom grossartig. Abfahrt 1 ½ Uhr [13.30
h] nach Remagen.
- 15. Oktober
- Nachts bei Ulfingen über Luxembourgische Grenze, von da
nach Gouvy in Belgien. Erste grössere Station Bastogne. Bevölkerung
zum Teil vorhanden. Kleine Mädchen verkaufen am Bahnhof Cigaretten
etc. Auf der Strecke lagen einige zerbrochene verbrannte Eisenbahnwagen.
Auf dem Bahnhof Bastogne lag ein deutscher Panzerzug. Bei Morhet
Zugentgleisung eines vorausfahrenden Zuges. Nachts durch Namur [Namen].
- 16. Oktober 1914
- Morgens durch Tamines, Aisseau [richtig: Aiseau, nahe Charleroi];
Orte stark zerschossen. Bevölkerung verkauft Chokolade, Cigaretten
etc. Durch Bahnhofsbeamte kauften wir belgischen Rotwein. Alles
in tadelloser Stimmung. Jetzt gehts nach der Französischen
Grenze. Charleroi durchfahren, Bahnen etc alles in tadelloser deutscher
Verwaltung. Ausladen in Grammont [Geerardsber-gen], abends Nachtmarsch
nach Everbeke [richtig: Everbeek].
- 17. Oktober 1914
- Quartier Everbeke. Nette Leute tadellose Verpflegung, alles flämisch.
Bis morgens 5 Uhr Caffee. Abmarsch nach Brück [vermutlich ist
Nederbrakel gemeint]. Nachts 2 Stunden nach Quartier gesucht. Wieder
sehr nette Leute.
- 18. Oktober 1914
- Abmarsch von Brück an 5 Uhr nachmittags. Nachtfahrt; in
Oudenaarde [Audenarde] durchkommend bis Zulte. Ankunft 2V2 h Nachts.
Massenquartier in der Reitbahn und Wohnung eines Rennpferdtrainers.
Ebenfalls alles flämisch; Bewohner sehr entgegenkommend.
- 19. Oktober 1914
- Abmarsch von Zulte gegen 9 ½ h morgens, fast alles im Trab.
Unterwegs alles mit durchfahrenden Colonnen etc besetzt.
- 20. Oktober 1914
- Ankunft in [Angabe fehlt]. Im Freien auf dem Acker übernachtet.
Morgens Abfahrt Roulers [Roeselare]. In Roulers sehr viel zerschossen
+ verbrannt da Franctireur [auch: Francs-tireurs, franz. Freischützen,
die im Rücken der Deutschen Partisanenkrieg führten] 11
deutsche Soldaten nachts in den Quartieren ermordet hatten. Abmarsch
von [unleserlich] morgens 9 Uhr nach der Front.
- 21. Oktober
- Da Auftrag hatte verschiedene Colonnen zur Befehlsabholung zu
veranlassen, so kam zu spät zum Abmarsch. Wir gingen zu FUSS,
verfehlten aber den Weg und kamen statt nach Morlede [Moorsiede]
nach Oostnieuwkerke. Dort wurden wir vom Stab veranlasst mit einem
Proviant-Transport nach der ersten Artillerie-Staffel zu fahren,
ausserhalb des Ortesbekamen wir aber bereits Skrapnellfeuer, so
dass umkehren mussten, fuhren dann über Roulers nach Morslede
und fanden dort unsere Colonne, wo schon als vermisst galten. In
Morlede entluden wir am 22. unsere Munition, da dort in der Nähe
seit dem Morgen eine Schlacht im Gang war. Es wurde am 224-23 heftig
gekämpft in der Nähe brennt .alles. Die ganze Nacht vom
22/23 standen wir bereit weitere Munition abzugeben. Gegen 5 Uhr
morgens am 22. rückten wir ab um neue Munition zu holen. Der
Kampf dauert nun schon 2 Tage. Deutscherseits kämpfte bisher
1. Freiwilligen Armeekorps, während auf der engl. Seite ca.
2. Korps im Einsatz waren. Verstärkung soll bereits eingetroffen
sein. [Vom 17. Oktober bis Ende November 1914 rannte das 27. deutsche
Reservekorps bei Zonnebeke, dem östlichsten Punkt des sogenannten
Ypernbogens, erfolglos gegen die Briten an. Erst im Juni 1915 wurde
das umkämpfte Gebiet von der 4. Armee genommen.]
- 22. Oktober
- Abmarsch nach Courtrai [Kortrijk] für Munition.
- 23. Oktober 1914
- Nachts Ankunft in Courtrai. Auf dem Wagen übernachtet, da
Munition noch nicht eingetroffen. Grössere hübsche Stadt.
Da Munition noch nicht eingetroffen haben wir heute wieder bei [Madame]
Jacques übernachtet. Eine sehr nette Frau, die uns auch Abendessen
bereitet. Vor allen Dingen schmeckt mir der Caffee + die Tartin
[Käse?] Portion ä 20 Cts (sehr billig.) Die Stadt hat
in den Hauptstrassen ziemlich stark französischen Charakter.
- 24. Oktober
- Ganzen Tag Ruhe. Beim Secretair des Bürgermeisters die Logierzettel
geordnet. In Courtrai konnten keine Munition erhalten.
- 25. Oktober 1914
- Abfahrt an 10 ½ h. Auf einer kleinen Station ungefähr
1015 Kilometer von Courtrai Munitionsempfang. Dort am Bahnhof
Eintreffen von grossen Verwundeten Transporten von der jetzt bereits
7 Tage dauernden Schlacht bei Zoonbeke [Zonnebeke]. Weiterfahrt
bis zur leichten Colonne Nachts 89 Uhr. In unserem Wagen Nr.
19 ab fuhren wir dann Nachts mit der leichten Colonne bis auf ca.
8001000 meter an unsere Batterien. Das Feuer war sehr stark.
Es regnete andauernd; alles vollkommen durchnässt. Unterwegs
bei der Fahrt durch die Felder und Gräben fiel ein Fahrzeug
in den Graben + eines fuhr in eine Hecke. Bis l Uhr hatten wir zu
tun. An 2 Uhr waren wir wieder in Roulers und suchten uns zu Dritt
ein Quartier, wo wir früh schliefen.
- 26. Oktober
- Kaffee beim Quartierwirt, dann noch in einer kleinen Gastwirtschaft,
Mittags Fleisch + Reisabkochen bei sehr netten Leuten, die ich ausfindig
machte. Mittags kam ein feindlicher Flieger über die Stadt
und warf 5 Bomben; es wurden l Mann (Belgier) getötet, einer
verletzt + 3 Frauen ebenfalls. Mittagessen bei sehr netten Frauen;
haben für alle gekocht und hübsch gedeckt. Von abends
6 Uhr bis 27ten 6 Uhr Wache, als Strafe für Quartiermachen.
Mittags am 27. erschien abermals Flieger, warf Bombe aber ohne Resultat.
Nachts geschlafen im Stall.
- 27. Oktober
- Am 27 Morgens Abmarsch nach Oostnieuwkerke von da Marsch nach
Norden bis Bahnstation Lichtervelde, eine nette kleine Stadt. Vollständig
von Deutschen besetzt. Die Strasse von Roulers nach Lichtervelde
ist eine wunderbare gerade Allee, die ca 15 km vollständig
gerade läuft. Abends warf ein Flieger Leuchtkügelchen.
Ankunft Abends gegen 8 Uhr. Quartier in einem sehr guten Stall vis
a vis dem Bahnhof. In der Stadt ist sonst sehr viel Pferdehandel,
daher lauter gute Ställe. Brot, Zucker, Chokolade + Cigaretten,
wie fast überall vollständig ausverkauft. Vormittags am
Bahnhof Munitionsempfang, dann Abmarsch nach Oostnieuwkerke über
Roulers. Nachmittags bis Abends Munitionsabgabe an die leichte Colonne.
Die Schlacht dauert nun schon seit 10 Tagen. Nacht Quartier in Oostnieuwkerke.
- 30. Oktober
- Morgens den 30. gegen 7 Uhr brannte unweit von uns ein ganzer
Stall eines Gehöftes durch Umstossen einer Petroleumlampe ab.
Die Nacht von 29 auf 30. hatte ich Wache am Nordausgang von Oostnieuwkerke.
Am 30. und 31. blieben wir in Oostnieuwkerke an beiden Tagen ereignete
sich nichts Besonderes.
- 31. Oktober
- Am 31. war Löhnungsapell. Seit einigen Tagen kommen auf
der Strasse nach Oostnieuwkerke immer Infanterie Verstärkungen
an. Heute ist der 12 Schlachttag und man hofft, dass die Entscheidung
in den aller nächsten Tagen fallen muss. Die Verwundeten Transporte
die hier passieren sind sehr gross, die Lazarette in Roulers etc.
sind vollkommen überfüllt, sodass die Verletzten möglichst
nach Deutschland per Bahn abtransportiert werden. Ein Verwundeter,
Infanterist aus Bonn, dem wir in unserem Quartier Brod + Caffee
gaben, erzählte, dass es draussen schrecklich ist und dass
viele beim Essenholen verwundet werden, wie er auch selbst. Es sollen
nach seiner Aussage am 29 und 30. ca 7000 Franzosen gefangen genommen
worden sein. Die französische Artillerie soll grossartig schiessen,
dagegen die Infanterie schlecht.
- 1. November 1914, Sonntag, Allerheiligen
- Heute sind wir immer noch im Quartier in Oostnieuwkerke. Die
Artillerie schiesst schon seit gestern Nacht direct Schnellfeuer
mit allen Kalibern. Die Österreichischen Motorbatterien sollen
auch da sein. Ausserdem ist eine deutsche Marinedividion am Kampf
beteiligt. Ich glaube dass es heute zur Entscheidung kommt. Nachmittags
hatten wir Ziel-Übungen mit dem neue Carabiner; was einem ganz
komisch anmutet, wenn man ringsum den Kanonnendonner hört und
die Verwundeten Transporte sieht. Seit einigen Tagen zeigen sich
sehr viele Flieger auf die Artillerie kräftig schiesst. Diese
Granaten platzen oft unmittelbar über unserem Wagenplatz.
- 2. November
- Vorläufig liegen wir noch immer hier in Oostnieuwkerke im
Quartier und hatten heute verschiedene Apelle mit Mantel etc. Heute
Nachmittag erhielt unser Major das eiserne Kreuz. Als Auszeichnung
vor dem Feind kann man es nicht betrachten da wir noch nie direct
im Feuer gewesen sind. Am 2. 11. bekam ich wahrscheinlich infolge
des schlechten Wassers Diarrhö [Durchfall], die sehr heftig
auftrat. Als ich in der Nacht vom 2. auf 3. in den Schöft [Wagenhalle]
nebenan, wo der andere Wagen unseres Zuges liegt und wo ich seit
dem 2. schlafe, auf die Toilette ging, die vorne am Haus liegt,
erschien einePatrouille, da sie meinte, es handle sich um einen
Franctireur. Die Wache erzählte mir, dass in der Nacht auf
einquartierte Soldaten geschossen sei und dass 4 Franctireur verhaftet
seien.
- 3. November 1914
- Am 3. war mein Unwohlsein glücklicherweise wieder soweit
vorüber. Wir blieben heute immer noch am selben Ort. Die Truppen
sind im Centrum und anscheinend auch auf den Flügeln vorgerückt.
Die allgemeine Lage der Schlacht wird günstig beurteilt. Nachts
schlief ich wieder wie am vorhergehende Tage im Stall des 20ten
Wagen. Gegen 11 Uhr glaubte unser Stangenreiter [Bedeutung des Wortes
unklar; vermutl. militärischer Ausdruck] Bühler einen
Mann auf dem Schöft gesehen zu haben. Trotz abpatroullieren
fanden wir aber nichts; dagegen begegneten wir aber 2 Geschützen
15 cm der schweren Artillerie, die von Roulers als Ersatz abgeholt
worden waren. Die Leute (Landwehr) sagten, dass die Belagerung von
Antwerpen gegen die jetzige Schlacht in Westflandern ein Kinderspiel
gewesen sei. Sie waren bei Lüttich, Namur [Namen] etc. dabei
gewesen. Sie glauben, dass der Kampf noch 23 Tage dauern wird.
Es sollen wieder 12 000 Franzosen gefangen sein. Kleinere Trupps
wurden gestern hier durchgebracht.
- 4. November
- Die Colonne hatte an 9 Uhr angespannt; aber abgerückt wurde
nicht. Nach Vergrabung einer crepierten Kuh wurde im Quartier Mittag
gekocht. Abends Apell, dann eine ungestörte Nacht.
- 5. November 1914
- Morgens musste unser Zug anspannen, dann Mittagessen; nachmittags
empfingen unser Zug und 3 weitere Wagen Munition aus Automobilen,
die wir sofort nach Calve [Landkarte verzeichnet Ort nicht; nach
späterer Aussage des Tagebuchschreibers nahe Passendale bei
Moorsiede] zur Abgabe an die leichte Colonne brachten. Auf der Rückfahrt
am gleichen Nachmittag warf ein feindlicher Flieger 2 Bomben auf
uns ab. Die eine ging ungefähr 30 meter von unserem Wagen entfernt
in den Boden ohne weiteren Schaden anzurichten. Unsere Pferde scheuten
natürlich wegen des kolossale Knalles und die Wagen wurden
trotzdem sie fuhren, stark erschüttert. Als wir wieder in Oostnieuwkerke
auf dem Standplatz unserer Colonne ankamen, erfuhren wir, dass unser
Kanonier Fehrenbach durch eine Bombe von dem gleichen Flieger getötet
worden sei. Die Bombe war ungefähr 150 meter von dem Wagen,
auf dem F. sass, entfernt in den Boden gefahren und war hauptsächlich
in seitlicher Richtung explodiert; einige Stückchen sind aber
anscheinend in der Richtung der Wagen geflogen und so wurde der
Mann getötet. Als wir ankamen lag er auf der Erde und die beiden
gerufenen Ärzte constatierten gerade, dass der Tod sofort eingetreten
sei. Die Wunde, die ich mir ansah, war nicht sehr gross, scheint
aber das Herz oder die Lunge durchbohrt zu haben.
- 6. November
- Um 11 Uhr fand die Beerdigung statt, an der sämtliche Offiziere
und alle freien Mannschaften teilnahmen. Ich war gerade mit dem
Zuwerfen von Strassengräben nach unserem Standplatz auf dem
Felde beschäftigt, damit bei Übernahme von Munition die
Wagen eine bessere Auf und Abfahrt haben. Sonst tagsüber nichts
von Bedeutung. Beim 5 Uhr Apell erhielt ich einige Karten aus Baden
+ ein Paketchen mit Conserven ferner einen Brief aus Hamburg, der
bereits am 13. 10. nach Rastatt gegangen war. Nachts und den darauffolgenden
Tag hatte ich Dorfwache in Oostnieuwkerke.
- 7. November
- Am 7ten Abends + Nachts als Befehlsempfänger.
- 8. November
- Sonntag. Nichts von Bedeutung. Vormittags und in der darauffolgenden
Nacht Durchmarsch von Verstärkung; einige Infanterie Regimenter
+ Feldartillerie, die hauptsächlich aus Verdun kamen, da dort
die Einschliessung vollständig ist und ein grosser Teil des
Forts gefallen sein soll. Nachmittags haben wir die Strasse im Ort
ausgebessert. Abends fuhr unser Zug ohne uns ab. Nachts gegen 8
Uhr kam er wieder zurück. Anscheinend bleiben wir noch lange
in Oostnieuwkerke. Abends war ich beim Unteroffiziers-Befehlsempfang
und nahm die Post in Empfang.
- 9. November
- Um 10 war Carabiner Apell, vorher war ich auf Befehlsempfang;
nach dem Apell auch wieder. Da kam ein Freiwilligen Infanterist,
der uns erzählte, dass die freiwilligen Regimenter durch die
aus Verdun gekommenen Regimenter ersetzt worden sind, bis zum Sturmangriff,
der jeden Tag erfolgen könnte. Abends kam ich auf Wache, diese
war sehr angenehm, da wir nur im Ganzen ca 4 Stunden standen. Nachts
hatte ein Teil der Colon-ne Munition gefahren und zwar nach Calve.
[siehe 5. November]
- 10. November
- Als ich morgens in unser Quartier kam, hiess es, dass wir abrücken
müssten. Gegen Mittag rückten wir ab; vorher ass ich noch
gekochtes Huhn und Hühnersuppe, die unsere Eeute am Abend vorher
gekocht haben. Nachmittags kamen wir dann in Koekuit [es ist nicht
Koekuit nördlich Eangemark, sondern Koekuithoek westlich Moorsiede
gemeint] an und müssten in dem Walde, der zum Schloss gehört
übernachten auf Stroh, ringsum die angebundenen Pferde. Geschlafen
habe ich sehr schlecht, da es mich sehr an die Füsse fror.
- 11. November
- Morgens kochten wir Caffée bei den Leuten, deren Tochter
hinten ins Buch geschrieben hat. [Gemeint sind kindliche Schriftzüge
auf den hinteren Umschlagseiten des Tagebuches.] Sie war sehr lebhaft
und nett und wir haben uns gut unterhalten. Wir blieben hier 5 Tage
im Walde bei fast andauerndem Regen + Schnee. Aus Stroh bauten wir
uns eine Hütte, die wir dann später mit Segeltuch überzogen.
Der Aufenthalt im Walde war wegen der Feuchtigkeit nicht angenehm,
auch mussten wir meistenteils im Freien abkochen, was immer viel
Zeit erforderte, weil das Wasser herbeigeholt werden musste. Allerdings
hatten wir auch einige gute Tage, da wir Obst und Zucker kaufen
konnten und uns Milchreis mit Compott (Birnen) machen konnten. Hie
und da kochten wir auch bei der Martha Niyten [Eigenname]. Munition
haben wir während dieser Zeit wenig gefahren, da die Feldkanonen
wenig geschossen haben, sondern nur die mittlere und schwere Artillerie.
- 15. November [bis 20. November]
- Heute rückten wir bei sehr schmutzigem Wetter nach der Bahnstation
Roulers od. Rousselare [Roeselare] um Munition zu holen. Diese kommt
jetzt regelmässig am Quaigeleise [Kaigleis; durch Roulers fließt
die Mandel, die bei Ooigem in die Leie mündet] dort an. Als
wir ankamen, war keine Munition da. Wir kochten ab bei einer netten,
armen Familie und sollten in einer Fabrik übernachten. Mittags
kam aber wieder der Befehl zum Abrücken. Wir fuhren ohne Munition
nach Koekuit oder Castel Hoek zurück und trafen dort gegen
6 Uhr wieder bei dem Schlösschen an. Dieses gehört dem
Herrn Abrik de Kussmaker. Ich hatte gleich nach Eintreffen Parkwache.
Wir bezogen Quartier in den Stallungen des Schlosses. Gegen 10V2
Nachts wurden wir wieder geweckt und fuhren nach Beythen [bei Rumbeke
südlich von Roulers]. Hier kamen wir gegen Mitternacht an und
fuhren morgens wieder nach Roulers wegen Munition. Unser Stammquartier
blieb nun Beythen. Von hier aus fuhr unsere Kolonne immer mit 46
Wagen nach Roulers holten Munition und brachte diese nach Calve
[siehe 5. November], das in der Nähe von Passchendacle [Passendale]
liegt. Bei letzterem Ort befinden sich auch ein Teil unserer Schützengräben,
um die schon seit Wochen hartnäckig gekämpft wird. Unser
Zug fuhr auch ein paar Mal von Beythen nach Roulers und zurück
mit Munition, die anfangs von der leichten Colonne in Beythen abgeholt
wurde. In Beythen hatten wir ein nettes Quartier bei einem Tischler
namens [Leander] Cools. Sein Häuschen liegt ca 25 Minuten von
unserem Sammelplatz entfernt. Die Leute hauptsächlich der Mann
sind sehr nett zu uns. Dieser spült unser Geschirr, stellt
morgens Caffeewasser auf etc. Dagegen ist die Frau sehr schmutzig,
unter anderem hat sie einmal um unseren Esstisch zu putzen auf denselben
gespuckt. Schmutzig sind die Leute hier in Flandern überhaupt.
Die Kinder laufen sehr schmutzig mit ungekämmten Haaren auf
der Strasse umher; ich habe sogar gesehen dass in Roulers oder Rousselare
die Frauen sich auf der Strasse frissiert haben. Da wir wenig Munition
bekamen, so hatten wir wenig zu tun, und es wurden dafür Apelle
in Kleidung, Waffen etc angesetzt, wie dies auch bei anderen Truppenteilen
namentlich bei der Infanterie, die auf einige Tage aus den Schützengräben
abgelöst ist, an der Tagesordnung ist. Die Fahrer d. h. die
Reiter hatten dann fast täglich Pferdebewegen oder Pferdeapelle
oder Besichtigung der kranken Pferde.
- Samstag, 21. November 1914
- Heute kam der Befehl, dass von allen Munitionskolonnen die Kannoniere
bis nachmittags um 3 Uhr zur Besetzung von Schützengräben
marschbereit sein sollten und sich um 5 Uhr in Passchendacle zu
melden hätten. Es wurde nun gesagt, dass wir wahrscheinlich
nur in einen Reserve Graben hinter der Front als Reserve kommen
sollten. Statt dessen ka-men wir aber in den aller ersten Graben,
der von feindlichen Schützengraben stellenweise nur 20 meter
entfernt war, so dass man das Sprechen hören konnte. Wir marschierten
also nachmittags gegen 3 Uhr unter Führung von einem Offiziersstellvertreter
über Koe-kuit, Morslede nach Passchendacle. Unterwegs trafen
wir die Kannoniere von den anderen Colonnen. Kurz vor Morslede,
das jetzt fast nur noch ein verlassener Trümmerhaufen ist,
passierte uns eine Ballonabwehr-Kannone. Gegen 6 Uhr trafen wir
in Passchendacle ein das ebenfalls fast vollständig zerstört
ist. Hauptsächlich die Umgebung der Kirche sowie diese selbst
hat stark gelitten. Bei Dunkelheit wurden wir dann auf dem Bahndamm
entlang an die Laufgräben, die zu den Schützengräben
führen, herangebracht. Es wurde im Gänsemarsch gegangen
und das Sprechen war verboten. Bald bekamen wir auch Gewehrfeuer
aus nächster Nähe zu hören und nach wenigen Minuten,
als wir an das Bahnwärterhäuschen gelangt waren, wo die
Laufgräben beginnen bekamen wir auch vereinzelt Gewehrfeuer.
Dann ging's in die Gräben unter lautloser Stille hinein und
teilweise aufrecht, teilweise gebückt oder bei gedeckten Durchgängen
auf allen Vieren gelangten wir in den ersten Schützengraben.
Es war das reinste Labyrinth von Gängen, die meistens über
Mannshöhe auf beiden Seiten also Hinten und Vorne ausgeworfen
waren. Unterwegs wurden uns von Hand zu Hand Spaten gegeben, mit
welchen wir nachts die Gräben weiter ausgraben sollten. Wir
wurden 1020 Mann weise auf die Infanterie Compagnien verteilt,
so kam ich zur ersten Compagnie. Wir fingen gleich an zu graben.
Die feindliche Infanterie schoss die ganze Nacht ohne Unterbrechung,
während auf unserer Seite nur ab und zu von den Posten hinter
den Schutzschildern geschossen wurde, wenn sich drüben einer
blicken liess. Sonst war das Feuer untersagt. Die feindlichen Geschosse
schlugen dauernd ...
Hier endet das Tagebuch. Die Schilderung der Umstände läßt
darauf schließen, daß der unbekannte Schreiber zu dieser
Stunde den Tod fand.
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Abgedruckt:
Badische Heimat 69 (1989) S. 93 - 102 |