In Mannheim

Nachdem der Freitag, der bereits aus verschiedenen Gegenden Deutschlands Nachrichten über grundstürzende Änderungen in der politischen Macht und über die Bildung von Arbeiter und Soldatenräten gebracht hatte, in Mannheim äußerlich das allgewohnte Bild zeigte, brachte der gestrige Samstag auch hier die große Bewegung in Erscheinung, die ganz Deutschland durchflutet. Zunächst fanden die Reisenden seit dem frühen Morgen den Bahnhof von einer Soldatenwache besetzt, die jedem ankommenden oder abfahrenden Militär die Achselstücke und die Waffen abnahmen. Auf diese Weise müsen ganz beträchtliche Waffenvorräte in den Besitz des Soldatenrats gekommen sein. Gegen 12 Uhr ließ die Wache, mit der auch Zivilisten, wohl beigeordnete Arbeiter, in Verbindung standen, durch den unteren Teil des Bahnhofs mit dem seitlichen Ausgang nicht mehr passieren. Die Züge verkehrten ordnungsmäßig, doch fast leer. Schutzleute waren kaum zu sehen.

Als in den Mittagsstunden Trupps von Soldaten mit roten Anzeichen und mit roter Fahne durch die Straßen zogen und den Bahnhof, den Ring, die Post usw. besetzten, wurde die Erregung in der Bevölkerung allgemeiner. Da diese Soldaten aber stets die Aufrechterhaltung der Ordnung und die Verhütung von Zügellosigkeiten für ihre Absicht und Aufgabe erklärten, blieb jede Panikstimmung aus. Die Besetzungsmannschaften, durch deren Tätigkeit der freie Verkehr nirgends gehindert wurde, bestanden zum großen Teil aus Matrosen, die mittags in Mannheim angekommen waren. Auf dem Bahnhofsvorplatz war während des ganzen Nachmittags lebhaftes Treiben, an dem allerdings die liebe Schuljugend ihren guten Anteil hatte: mancher halbwüchsige Bursche versuchte sich mausig zu machen, wozu ihm zwar keine Gelegenheit wurde, aber diese Schreihälse ließen ahnen, was derartige Zeiten ohne Selbstdisziplin der Menge bedeuten.

Im Laufe des Nachmittags erschien folgender Aufruf an den Straßenecken:

Soldaten, Arbeiter, Bürger!

Heute vormittag wurde zwischen dem Arbeiter und Soldatenrat und dem hiesigen Standortkommando vereinbart:

Die Offiziere erklären, daß sie mit der Institution der Arbeiter und Soldaten gemeinschaftlich für die Aufrechterhaltung der Ordnung sorgen wollen. Anwendung von Waffengewalt kann nur im Einverständnis mit den Arbeitern und Soldaten erfolgen. Rote Abzeichen kennzeichnen die Kommandos. Die Offiziere sind nicht zu belästigen. Arbeiter! Sorgt für Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung. Fügt Euch den Ordnern. Kein Vergehen gegen das Eigentum.

Im Auftrage des Arbeiter und Soldatenrats

gez. Schwarz

Aus dem Militärgefängnis (altes Landesgefängnis) in Q 6 wurden 15 Insassen befreit, ausschließlich solche, die wegen Disziplinarverfahren oder Fahnenflucht bestraft waren; zumteil haben sie sich, wie Augenzeugen berichten, aus den oberen Stockwerken an zusammengebundenen Leinenstreifen herabgelassen. Von Ausschreitungen irgendwelcher Art ist Mannheim bisher verschont geblieben und wird es hoffentlich auch weiter bleiben.

Ein Wohlfahrtsausschuß, gebildet aus führenden Mitgliedern aller Parteien, hat sich zusammengefunden, um auf dem Boden der freiheitlichen Entwicklung an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit mit zuarbeiten, wie ein Aufruf im Anzeigenteil dieser Nummer besagt. Er hat eine Geschäftsstelle im Rathaus, Zimmer 48 eingerichtet und erwartet, daß man Angelegenheiten von allgemeiner Bedeutung ihm zur Kenntnis bringt und nicht durch Ordnungsstörung duchzusetzen sucht. Er verspricht, alle berechtigten Wünsche schleunig und nachdrücklich zu vertreten.

Gegen Abend bot die Stadt das Bild allgemeiner Spannung, die Bevlkerung drängte sich ziellos in den Hauptstraßen. Die Geschäfte schlossen zum großen Teil sehr frühzeitig, wo man Plünderungsversuche befürchten konnte, wie vor einem Waffengeschäft, waren vom Soldatenrat Posten aufgestellt. Um ein Lebensmittelgeschäft, das geschlossen war, stauten sich die Leute, ein Mann vom Soldatenrat forderte zum Öffnen, die Umstehenden zum Weitergehen auf; in den anderen Geschäften dieser Art spielte sich der Verkehr wie üblich ab. Die Straßenbahnen waren ständig überfüllt.

Neue Badische Landeszeitung, Sonntag, 10. November 1918, MorgenAusgabe, S. 2

 

 

Die Revolution in Mannheim

9.11.1918

Neue Badische Landeszeitung, Sonntag, 10. November 1918, MorgenAusgabe, S. 2

Stadtarchiv Mannheim


zurück zur Startseite
© Bühler 2000