Erklärungen des Reichskanzlers

Das neue Deutschland (Privattelegramm)

Berlin 2. November

Der Reichskanzler Prinz Max von Baden empfing den zur Zeit in Berlin weilenden Direktor des Holländisch Nieuws Büro, Herrn Nevens aus dem Haag, und erklärte u.a.:

Was Sie heute in Deutschland sowohl im Reiche wie in den Bundesstaaten vor sich gehen sehen, ist das Ergebnis einer stillen unterirdischen Bewegung vieler Jahre. Der Krieg und die praktischen Zugeständnisse der militärischen und konservativen Führer, daß ihre Politik Schiffbruch gelitten hat, haben diese Bewegung lediglich in außerordentlicher Weise gestärkt und den demokratischen Elementen endgültig die Oberhand gegeben.

Die demokratische Idee hat nunmehr ihren siegreichen Einzug in Deutschland gehalten, um hier bodenständig zu werden und sowohl im Reiche als auch in den Bundesstaaten für alle Zeiten zu herrschen,

Der Wechsel ist daher nicht unter dem Druck der augenblicklichen Verhältnisse vorgenommen worden, sondern ist in dem Volkswillen begründet. Jeder Zweifel an der Aufrichtigkeit dieser Systemänderung wird durch die Tatsachen behoben, daß sie fest in der Reichsverfassung verankert ist!

Der Reichskanzler äußerte sich dann eingehend über die neue verfassungsmäßige Stellung des Kaisers und seiner verantwortlichen Ratgeber. Er sagte darüber: Wie sie wissen, war der Kanzler bisher lediglich der das Vertrauen des Kaisers besitzende Reichsminister. Nach der abgeänderten Reichsverfassung kann dagegen niemand zum Kanzler ernannt werden, der nicht das Vertrauen der Mehrheit des Reichstages genießt und er kann nur solange im Amte bleiben, als ihm dieses Vertrauen sicher ist. Sie werden diesen äußerst weitgehenden Wechsel in unserem Staatswesen voll verstehen - ein Wechsel, der nicht wie in anderen parlamentarisch regierten Ländern auf Herkommen beruht, sondern auf einer ausdrücklichen Bestimmung der Verfassung begründet ist.

Sie wissen natürlich, daß in der neulichen Reichstagssitzung zum ersten Male in unserer Geschichte zu Gunsten der neuen Regierung und ihrer erklärten Politik ein formelles Vertrauensvotum erteilt wurde. Wenn in Zukunft der Reichstag einmal ein Mißtrauensvotum beschießen sollte, so würde der Reichskanzler gezwungen sein, sofort zurückzutreten.

Nachdem Prinz Max die Aufnahme von Parlamentariern in die Regierung und die Beseitigung der Hindernisse für die Beibehaltung ihres Reichstagsmandates hervorgehoben hatte, fuhr er fort: Durch alle diese Änderungen ist die Macht des Reichstags außerordentlich erhöht worden. Der Reichstag wird künftig auf allen Gebieten des deutschen öffentlichen Lebens zu bestimmen haben und wird die wahre Stimme der Mehrheit des deutschen Volkes zum Ausdruck bringen.

Auf die Bemerkung des Anfragers, ob das Ausland vielleicht trotz des vermehrten Einflusses des Reichstags der deutschen Neuordnung doch noch skeptisch gegenüberstehen könne, solange die Befugnisse des Bundesrats unverändert seien, erwiderte der Reichskanzler:

Derartige Ansichten wären nicht unnatürlich, sobald die Regierungen der Bundesstaaten unverändert fortbeständen. Tatsächlich ist aber auch in den Bundesstaaten der Zug der Zeit auf Demokratisierung gerichtet. Nach der jetzt endgültig gesicherten preußischen Wahlrechtsreform wird die Mehrheit im preußischen Abgeordnetenhaus der der Mehrheit des Reichstages ähnlich zusammengesetzt sein. Es ist daher undenkbar, daß die Bundesratsbevollmächtigten der preußischen Regierung jemals Instruktionen erhalten sollten, die sie mit den Beschlüssen des Reichstags in Konflikt brächten.

Der Kanzler, der im Verlauf des Gespräches die Reform in Deutschland als eine wirkliche, Gottseidank unblutige Revolution bezeichnete, schloß mit den Worten:

Mit den "ancien régime" ist es endgültig vorbei. Ich habe die feste Zuversicht, daß die neue deutsche Demokratie bald mit ihren jetzigen Gegnern in Frieden leben wird, um die Aufgabe der Neugestaltung Deutschlands vollenden zu können.

Neue Badische Landeszeitung, Sonntag, 3. November 1918 - Morgen-Ausgabe

 

 

Erklärungen des Reichskanzlers

2.11.1918

Neue Badische Landeszeitung, Sonntag, 3. November 1918 - Morgen-Ausgabe

Stadtarchiv Mannheim


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