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Zur Frage von Schuld und Verantwortung

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Die staatliche Schuld

Verbrechen, die im Namen des Staates an den Juden und den unterworfenen Völkern Mittel- und Osteuropas verübt wurden; Gesamtheit der Repressalien, mit denen die SS auf die Untergrundtätigkeit in den besetzten Ländern reagierte; der Bereich der politischen Justiz, allem voran die Diskussion um den Reichstagsbrandprozeß, bis hin zu den Todesurteilen, die der Volksgerichtshof bis in die letzten Kriegstage hinein fällte und die auch die Geschwister Scholl das Leben kosteten.

Faktoren der Beurteilung:

Verletzung aller abendländischen Konventionen durch diese Maßnahmen (vor allem der Menschenrechte)

Gemessen an diesen übergeordneten Rechtsnormen ist das NS-Regime in jedem Fall ein Unrechtsregime

Die private Schuld

Zu dieser Auseinandersetzung hat Thomas Dehler, der Fraktionsvorsitzende der FDP, während der Debatte um die Verjährung nationalsozialistischer Gewalttaten 1955 im Deutschen Bundestag Grundlegendes gesagt:
Dehler differenziert zwischen der Verantwortung des Staates, der Verbrechen beschlossen und betrieben hat, und der Verstrickung des einzelnen aufgrund komplizierter psychologischer Verhältnisse. Er lehnt keineswegs die individuelle Schuld ab, sondern mißt sie an den realen Möglichkeiten derer, die dann auf die abschüssige Bahn schwerster Schuld gekommen sind.

Schuld und Verantwortung

Das Tun des Staates befreit den einzelnen aus seiner persönlichen Verantwortung im Sinn des Menschenrechts Selbst das verbrecherischste "positive Recht" des Staates kann den einzelnen nicht aus seiner Verantwortung gegenüber den übergeordneten Normen von Natur- und Menschenrecht befreien

Konflikt:

Beachtung der Normen der Menschenrechte

gegen

Machtlosigkeit gegenüber dem verbrecherischen Terror des Staates

Parallele: Antigone-Stoff  !


Die Kontinuität der deutschen Politik

Die Elemente von Hitlers Politik kommen aus dem wilhelminischen Kaiserreich:


Hitler ist also kein "Betriebsunfall" der deutschen Geschichte, der unvorhersehbar oder unkontrollierbar gewesen wäre, sondern die letzte, grausig überhöhte Konsequenz der deutschen Weltmachtpolitik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie konnte auf dem Boden der Ablehnung des Weimarer Parteiensystems und der Wirtschaftskrise wachsen. Sie war verknüpft mit einem System, das menschliche Schwächen bis ins letzte für sich ausnützt: Die frustrierte Masse sah in Hitler einen Ausweg aus der Krise der Zeit, das System der Parteiherrschaft ermöglichte es noch dem kleinsten Blockwart, seine Macht auf Kosten anderer auszunützen, die SS erlaubte es ihren Mitgliedern, ihre Aggressionen auf Kosten von Kommunisten, Sozialdemokraten, Geistlichen, Juden, Polen, Russen, Zigeunern, Homosexuellen, kurz, all derer, die nicht in das System einer im Gleichschritt sich fortbewegenden Volksgemeinschaft passen wollten, auszuleben, abzureagieren. Darüberhinaus arbeitet die Wissenschaft der Psychologie daran, das Phänomen der Aggressivität darzustellen, die dem Menschen innewohnt und die ihn zu den brutalsten Reaktionen Mitmenschen gegenüber befähigt (Gewalt als pseudo-legitimes Mittel zur Durchsetzung von Interessen).


Helmuth James Graf von Molte schrieb kurz vor seinem Tod an seine Söhne:


Ich habe mein ganzes Leben lang, schon in der Schule, gegen einen Geist der Enge und Gewalt, der Überheblichkeit, der Intoleranz und des Absoluten, erbarmungslos Konsequenten angekämpft, der in den Deutschen steckt und der seinen Ausdruck in dem nationalsozialistischen Staat gefunden hat. Ich habe mich auch dafür eingesetzt, daß dieser Geist mit seinen schlimmen Folgeerscheinungen wie Nationalismus im Exzeß, Rassenverfolgung, Glaubenslosigkeit, Materialismus überwunden werde. Insoweit und von ihrem Standpunkt aus haben die Nationalsozialisten recht, daß sie mich umbringen ... (11.10.1944).

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